von Christian Pfeifer, SWZ – 27. Januar 2023 in Südtirol
Bozen – 1957: Das ist das Jahr, in dem Paul Atzwanger in das von Vater Luis gegründete Familienunternehmen eingestiegen ist. Damals war die Firma ATZWANGER ein kleines Handwerksunternehmen für Heizungs- und Sanitäranlagen. Paul Atzwanger und sein Bruder Peter, der 2003 aus dem Unternehmen ausgeschieden ist, machten es international. Heute ist die Gruppe europaweit als Spezialist für Anlagen im Bereich Wasser-, Energie-, Abfall- und Gebäudetechnik tätig, kommt auf einen Jahresumsatz von rund 70 Millionen Euro und beschäftigt etwa 250 Mitarbeitende am Sitz in Bozen, am Standort in Palmanova (Udine) sowie in den Tochterfirmen in München, Salzburg und Baar (Schweiz). „Wenn ich so ins Internet reinschaue, dann staune ich selbst darüber, was uns alles gelungen ist“, sinniert Paul Atzwanger.
Jahrzehntelang war Atzwanger der Chef, nunmehr ist er der Ex-Chef. In diesen Tagen hat er die Präsidentschaft an Sohn Thomas übergeben. Der zweite Sohn, Christoph, und Neffe Martin bleiben im Verwaltungsrat und verantworten unverändert spezifische Geschäftsbereiche. Wenn ein Unternehmer erst nach 65 Arbeitsjahren von der Kommandobrücke geht, drängen sich Fragen auf: Ist er einer, der nicht loslassen kann? Hat er zu lange mit der Nachfolgeregelung gewartet? „Nein, ich würde das genaue Gegenteil behaupten“, kommt als überraschende Antwort (siehe Interview).
Bei der Frage, ob es stimme, dass er bald 87 wird, setzt Atzwanger zu einem spitzbübischen Grinsen an und antwortet: „Noch bin ich 86.“ Er sitzt im lichtdurchfluteten Sitzungssaal des Firmensitzes nahe der Autobahnausfahrt Bozen Süd, und es sprudelt förmlich aus ihm heraus, wenn er erzählt. Auch Notizen hat er sich gemacht: „Man vergisst ja so vieles.“
Paul Atzwanger hat viel zu erzählen. Wen wundert’s, nach 65 Jahren als Unternehmer? Und er beeindruckt. Kann es wirklich sein, dass dieser Mann bald 87 Lenze auf dem Buckel hat? Atzwanger kommt voller Energie und Lebenslust daher. Auf die Frage, ob ihn womöglich die Arbeit jung gehalten hat, schmunzelt er: „Ich weiß nicht, warum ich noch lebe.“ Jedenfalls sehe er in den Todesanzeigen in der Tageszeitung Dolomiten durchwegs Menschen, die viel jünger sind als er. Da denke er oft: „Da hast du wieder einmal Glück gehabt.“ Der Mann hat Humor.
Eigentlich redet Paul Atzwanger viel lieber über die Firma als über sich selbst. Zum Beispiel, wie er in den 1960er-Jahren das Lido Bozen mit der ersten richtigen Badewasseraufbereitungsanlage ausgestattet habe, obwohl das Unternehmen damals auf Heizungs- und Sanitäranlagen spezialisiert war. „Wir hatten den Mut, es zu tun“, sagt er. Oder wie aus diesem ersten Auftrag ein wichtiger und zukunftsweisender Geschäftszweig wurde. Oder wie in den 1970er-Jahren Tochtergesellschaften in Deutschland und Österreich gegründet wurden, weil man als „italienische Firma“ – trotz deutschem Namen – sonst kaum Chancen gehabt hätte, dort beim Bau von öffentlichen Schwimmbädern mitzumischen. Nach und nach kamen andere Tätigkeitsfelder dazu, von Kläranlagen über Müllverbrennungs- und Kompostieranlagen bis hin zu anspruchsvollen Klima- und Lüftungsanlagen, um nur einige zu nennen.
Die Firma ist ein bisschen (viel) Paul Atzwangers Kind. Jahrzehntelang hat er zehn und mehr Stunden täglich gearbeitet und war auch an den Wochenenden oft im Unternehmen. Als Arbeitstier betrachtet er sich trotzdem nicht. Er habe sich stets Zeit für schöne Reisen gegönnt, sagt er, genauso fürs Skifahren und Tennisspielen. „Vielleicht war es mein Glück, dass ich immer imstande war, nicht mehr an die Firma zu denken, sobald ich die Tür hinter mir zugemacht habe“, so Atzwanger. Trotzdem, die Arbeit sei ihm immer wichtig gewesen. Arbeit sei wichtig für jeden Menschen, denn sie „gibt das Gefühl, ein nützlicher Bestandteil der Gesellschaft zu sein“.
Paul Atzwanger hat das Arbeiten von der Pike auf gelernt. Schon lange vor seinem Einstieg ins Unternehmen begleiteten er und sein Bruder den Vater nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges regelmäßig vom Betriebssitz in der Bozner Talfergasse ins Lager in der Reschenstraße, um dort Material zu holen – mit dem Leiterwagen.
Irgendwie macht es Eindruck, einem Unternehmer gegenüberzusitzen, der diese längst vergessenen Zeiten erlebt hat und immer noch beruflich aktiv ist. Es kommt beinahe automatisch, einen so erfahrenen und auch erfolgreichen Unternehmer zu fragen, an welchen unternehmerischen Grundsätzen er sich in seinem Berufsleben orientiert habe. Die Antwort folgt wie aus der Pistole geschossen: „Erstens: technologisch immer ganz vorne dran sein. Zweitens: innovativ sein, ohne unkalkulierbare Risiken einzugehen. Und drittens: Die Kunden müssen im Mittelpunkt des unternehmerischen Tuns stehen, denn nur zufriedene Kunden machen ein Unternehmen erfolgreich.“
Weniger leicht fällt Paul Atzwanger die Antwort auf die Frage, wie man so lange den Druck aushält, Verantwortung für ein Unternehmen zu tragen. Er scheint sogar überrascht über die Frage, denkt eine Weile nach und sagt dann: „Druck habe ich nie empfunden.“ Vielmehr habe er seine Arbeit immer gerne getan, selbst in schwierigen Momenten. Vor allem habe er darin immer einen Sinn gesehen. Das hält Paul Atzwanger für wesentlich. Natürlich seien ihm auch Fehler unterlaufen, „aber am Ende haben wir immer alles in Ordnung gebracht“.
Er könnte ein Buch über seine Erlebnisse schreiben, „zum Beispiel über die Abenteuer in Süditalien in den 1970er-Jahren“, auf die er dann doch lieber nicht näher eingehen will. Was also waren die schönsten und wichtigsten Projekte in diesen 65 Jahren? Da könne er sich unmöglich entscheiden, schüttelt Atzwanger den Kopf. Vielleicht die Müllverbrennungsanlage in Bozen? Oder die Vergärungsanlage im fernen Japan, die vor ein paar Jahren verwirklicht wurde? Oder die Badewasseraufbereitungsanlagen in den drei größten Aquaparks Europas in Erding, in Bukarest und im Tropical Island südlich von Berlin? Nein, Paul Atzwanger will keine Favoritenliste erstellen, die Liste ist zu lang.
Er wird nicht müde zu erzählen. Er spricht schnell, als hätte er Angst, nicht alles loswerden zu können. Aber bei alledem vermittelt er nicht das Gefühl, es der Anerkennung willen zu tun. Atzwanger strahlt Zufriedenheit aus, aber nicht Stolz. „Wissen Sie, das war halt unser tägliches Geschäft, solche Anlagen zu errichten“, meint er lapidar. Auf etwas ist Paul Atzwanger dann doch stolz, nämlich darauf, seit Jahrzehnten in der Umwelt- und Wassertechnik tätig zu sein, zwei Bereichen, die heute als Zukunftsfelder gelten. Um die Zukunft des Unternehmens ist ihm daher nicht bange. Seine Nachfolger werden es richten, so wie auch er es gerichtet hat.
SWZ: Herr Atzwanger, Sie sagten 2009 in einem Interview mit der SWZ: „Viele Unternehmer machen den Fehler, die Übergabe zu lange hinauszuzögern. Das ist meistens weder für den Überlasser noch den Nachfolger noch den Betrieb vorteilhaft, denn die Entwicklung des Unternehmens kann dadurch gebremst und der frische Schwung des Nachfolgers beeinträchtigt werden“. Haben Sie vergessen, Ihre eigene Aussage zu beherzigen?
Paul Atzwanger: Nein, ich würde das genaue Gegenteil behaupten. Die Tatsache, dass bei uns der Nachfolgeprozess über 15 Jahre lang gedauert hat, zeigt eigentlich, dass wir ihn früh eingeleitet haben. Die Nachfolger haben schon 2006 die Verantwortung für verschiedene Geschäftsbereiche übernommen, mit dem Ziel, diese selbstständig weiterzuentwickeln. Ich war die Klammer über allem. Der Anlagenbau ist ein komplexes Geschäft, in dem jemand nicht von heute auf morgen die Nachfolge antreten kann – noch dazu, wo wir bei ATZWANGER vier verschiedene Geschäftsfelder haben.
SWZ: Gibt es einen Anlass, warum gerade jetzt der Generationenwechsel vollzogen wird.
Paul Atzwanger: Nein.
SWZ: Was bedeutet für Sie Arbeit? Immerhin sind Sie 1957 in das Unternehmen eingestiegen und haben somit 65 Jahre lang gearbeitet.
Paul Atzwanger: Für mich ist Arbeit ein ganz wichtiger Teil im Leben eines Menschen. Ich finde es spannend, immer ein Ziel zu haben, denn das gibt das Gefühl, ein nützlicher Bestandteil der Gesellschaft zu sein. Wesentlich ist dabei, dass man die eigene Arbeit als sinnvoll empfindet. Je sinnvoller die berufliche Tätigkeit ist, umso größer ist das berufliche Engagement. Dabei darf man es mit der Arbeit natürlich nicht übertreiben. Hobbys, Ruhepausen und vor allem Beziehungen zu anderen Menschen dürfen auf keinen Fall zu kurz kommen.
SWZ: Wie hat sich die Arbeit in den ergangenen sechs Jahrzehnten verändert?
Paul Atzwanger: Sie hat sich grundlegend verändert. Vor allem hat die Digitalisierung und Automatisierung immer stärker Einzug gehalten. Früher haben wir Briefe geschrieben, jetzt kriegt man laufend Mails und es wird erwartet, dass man schnell antwortet. Man muss also viel schneller entscheiden. Die Geschwindigkeit der Kommunikation hat viele Vorteile, aber auch gewisse Nachteile, nicht nur im Beruflichen. Sie wirkt sich vereinzelt negativ auf die Psyche vieler Menschen aus.
SWZ: Hat sich die Einstellung der Südtirolerinnen und Südtiroler zur Arbeit in dieser Zeit verändert?
Paul Atzwanger: Die Vorstellung der jungen Leute von einer idealen Arbeitswelt hat sich wesentlich geändert. Flexible Arbeitszeiten und Heimarbeit spielen eine viel größere Rolle. Ich will jetzt nicht pauschalieren, aber prinzipiell stelle ich fest, dass viele junge Menschen das Leistungs- und Karrieredenken mittlerweile kritisch sehen. Lieber verzichten sie auf mehr Gehalt, als dass sie eine verantwortungsvollere Position anstreben oder auf Freizeit verzichten würden. Das hat es früher nicht gegeben. Irgendwie ist das natürlich ein Vorteil für jene, die heute noch das Leistungsdenken in sich tragen – die Konkurrenz ist sozusagen weniger groß. Geändert hat sich auch das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Firma. Es gibt weniger Menschen als früher, die einer Firma sehr lange treu bleiben.
SWZ: Was kommt jetzt? Werden Sie weiterhin ins Büro gehen oder machen Sie jetzt einen Schnitt?
Paul Atzwanger: Ich wechsle vom bisherigen Chefbüro im ersten Stock in den letzten Stock, ins Büro mit dem bei Weitem schönsten Ausblick. Wenn man mich braucht, bin ich da. Aber ich möchte schon auch mehr Zeit für andere Dinge haben. Unbestritten bleibt für mich: Ohne Ziel kann ein Mensch nicht leben.